The Wolf of Wall Street für Arme - Betonrausch auf Netflix

Kann der neue deutsche Netflix Film mit seinem großen Vorbild mithalten?

The Wolf of Wall Street für Arme - Betonrausch auf Netflix

Nachdem der Streaming Anbieter letzten Herbst mit Regisseur Martin Scorsese für dessen neuen Film zusammengearbeitet hat, wird sich nun an dessen Meisterwerk „The Wolf of Wall Street“ (2013) bedient. An diesen ist „Betonrausch“, die nun zweite deutsche Netflix-Eigenproduktion, sehr stark angelehnt. Seit letzter Woche ist er auf der Plattform abrufbar.

Frederick Lau (Das perfekte Geheimnis) und David Kross (Ballon), im Film Gerry Falkland und Viktor Stein, laufen sich in Berlin über den Weg. Beide sind eigentlich ziemlich mittellos, aber Viktor macht bereits erste Gehversuche in der Betrugs-Branche. Nachdem er voller Tatendrang und Mut in die Hauptstadt aufgebrochen war, um dort die harte Realität eines Tagelöhners zu erleben, hatte er eine bessere Idee. Mit gefälschten Dokumenten und einer großen Portion Charme mietet er eine Menge Luxus-Apartments, die er sich eigentlich nie leisten könnte und lässt dutzende Schwarzarbeiter von der Baustelle dort gegen Bezahlung wohnen. Nicht schlecht für den Anfang. Mit Gerry zusammen beginnt er jedoch größer zu denken und so machen die beiden schließlich als Immobilienbetrüger ein Vermögen. Dabei tun sie sich mit einer moralisch flexiblen Bankerin zusammen, die Viktor dann relativ schnell heiratet. Es beginnt ein Leben in Rausch, Luxus und Exzess. Doch lange gut gehen tut sowas selten.

© Netflix

Erzählt wird diese Geschichte vom Aufstieg und Fall der beiden Neureichen in einem Verhör. Im Rückblick schildert der scheinbar geläuterte Viktor, wie sich alles zugetragen hat. Diese Rahmenhandlung ist zwar der größte, aber nicht der einzige Unterschied zwischen dem Film von Cüneyt Kaya („Asphalgorillas“) und dem Vorbild von Scorsese.

The Wolf of Ku‘damm

Die vielen genialen Szenen aus „The Wolf of Wall Street“ sind in zahlreichen Videoclips im Internet zu finden und werden dort millionenfach geklickt. „Betonrausch“ hat es anders herum gemacht. Hier hat man ganz viele Youtube Videos zu einem Film zusammengefügt. Den Eindruck hat man zumindest. Die ungeschickten Wechsel in Tempo und Stil von 'Liebesdrama' zu 'Musikvideo' verhindern häufig, dass der Film über seinen Schatten springt.

Die Geschichte hat man gleich auf mehrere Arten eingedeutscht. Zunächst offensichtlich in der Branche. Es geht nicht um Aktien, mit denen der Durchschnittsdeutsche ohnehin nie so richtig was anfangen konnte, sondern um Immobilien. Dann hat man leider noch eine weitere, eine filmische Eindeutschung zugelassen.

„The Wolf of Wall Street“ ist ja gerade wegen seiner moralischen Schizophrenie so genial. Als Zuschauer ist man insgeheim fasziniert und überwältigt von all dem Luxus und den Exzessen. Den Autos, Partys und Frauen. Bis man schließlich wieder daran denkt, wer für diese Orgie gerade die Rechnung zahlt, nämlich über den Tisch gezogene Anleger. Scorsese zeigt uns diese Geschichte, kitzelt den Abgrund aus den Figuren und dem Zuschauer hervor und lässt ihn moralisch unkommentiert. Auch hier sympathisiert man zwar mit der Hauptfigur, aber Jordan Belfort bleibt einfach ein Mistkerl - ohne Verhandlungsspielraum. Sowas traut sich „Betonrausch“ nicht. Die Machenschaften der Protagonisten werden teilweise obskur gerechtfertigt. Viktor soll auf Teufel komm raus ein Sympathieträger sein. Ein Good Guy, ein Sunny-Boy, der das Herz am rechten Fleck hat. Besonders albern wird das, als sein Trauma mit Rückblenden aus seiner Kindheit unterlegt wird, in denen der kleine Viktor mit Sätzen wie aus einem Schultheaterstück versucht, eine Finanzbeamtin um den Finger zu wickeln. In solchen Szenen ist es ratsam sich in aller Ruhe ein Getränk zu holen – und zwar ohne auf Pause zu drücken.

So verhält es sich auch mit den vielen, über den Film verstreuten Handlungselementen, die von vorne bis hinten keinen Sinn ergeben. Man merkt immer wieder, dass der Film im Gegensatz zu „The Wolf of Wall Street“ fiktional ist und auf keiner wahren Begebenheit beruht. Wer Glück hat, ist in genau diesen Szenen auf der Toilette und fragt danach nicht, was denn als Letztes passiert ist. Ansonsten müsste man schon sehr viel Wein intus haben, um dem Film die teilweise wirklich hanebüchenen Betrugsmaschen abzukaufen. Wenn das wirklich so einfach funktioniert und so lange nicht auffliegt, nehme ich den nächsten Zug nach Berlin und werde auch reich.

Betongold oder baufällige Ruine?

Abseits seiner Hand voll guter Ideen und Momenten verblasst der Film leider in der Menge der mittelmäßigen Netflix Produktionen, nur das er als zweite deutsche Produktion des Anbieters für uns hier zu Lande ein bisschen interessanter ist.

An dieser Stelle muss allerdings noch ein Loblied gesungen werden. Und zwar auf die Hauptdarsteller, die zumindest versuchen, aus dem Film das Beste zu machen. Das Duo Kross und Lau ist der beste Grund, ihn sich anzusehen. Letzterer sorgt mitunter für die besten Szenen. An einer Stelle legt Gerry bei einem Vorstellungsgespräch Kokain auf den Tisch und sagt: „wir stellen hier nur Leute ein, die Drogen nehmen“. Ein anderes Mal, nachdem die beiden Hochstapler eine Makler-Firma gekauft haben, stimmt er am Verhandlungstisch ein Lied an – mit der Ansage jeden zu feuern, der nicht mitsingt. Da flammt dann tatsächlich diese dreiste Lockerheit aus „Wolf of Wall Street“ auf, die sich aber über die Laufzeit von 94 Minuten leider nicht halten kann. Wenn man jetzt bedenkt, dass Leonardo DiCaprio und Jonah Hill sich ganze 180 Minuten über die Leinwand koksen, ohne dass man sich langweilt, merkt man, welche Ligen bei diesem (etwas unfairen, aber unvermeidbaren) Vergleich aufeinandertreffen.

Offizieller Trailer | © Netflix