Umgekehrtes Interstellar - The Midnight Sky auf Netflix
George Clooney spielt einen gealterten Astronomen auf einer zerstörten Erde. Er versucht Kontakt zu einem Raumschiff aufnehmen, das gerade von einem anderen Planeten zurückkommt - auf dem man womöglich leben könnte. Der Film kommt ganz schön träge daher, ist aber trotzdem sehenswert.
Der alte von Krankheit geplagte Forscher Augustine Lofthouse hält im Jahr 2049 in einer arktischen Forschungseinrichtung alleine die Stellung, als auf dem Radar das Raumschiff einer Jupitermission auftaucht. Die fünfköpfige Crew freut sich zunächst noch auf die Rückkehr nach Hause. Sie weiß noch nicht, dass von diesem zu Hause nicht mehr viel übrig ist. Zwei Jahre waren sie unterwegs, um einen neu entdeckten Jupitermond zu erkunden und ihn auf seine potentielle Bewohnbarkeit zu überprüfen. Die der Erde ging während diesen Jahren allerdings größtenteils flöten. Nur an den Polen ist noch Leben möglich. Auch wenn nicht eindeutig gesagt wird, was passiert ist, es scheint schlimm zu sein. Der Klimawandel lässt grüßen. Das ist auch der Grund für Augustines Alleinsein in der Station - alle anderen wurden scheinbar evakuiert. Nun muss er es irgendwie schaffen Kontakt aufzunehmen. Und dann ist da noch ein kleines Mädchen, dass man bei der Evakuierung offenbar zurückgelassen hat, um das er sich nun kümmern muss. Neben den beiden Erzählsträngen, Lufthouse in der Arktisstation und die Crew an Bord des Jupiterraumschiffes, wird in einer dritten Ebene in Form von Rückblenden gezeigt, wie der junge Augustine den neuen Mond, genannt K23, entdeckt und wie besessen einen Plan für die Erkundung und Besiedlung schmiedet.
Die Handlung wirkt ein bisschen wie ein umgekehrtes "Interstellar". Dort ging die Erde langsam zu Grunde, weshalb man das Team rund um Cooper (Matthew McConaughey) losschickte um herauszufinden, ob ein paar neu entdeckte Planeten bewohnbar sind. In diesem Film kommt nun eine solche Mission mit guten Neuigkeiten zurück nach Hause – um dort schlechte zu erhalten.
Stillstand & Langeweile
Zunächst mal möchte ich mich über etwas auslassen, das mich an vielen Netflix-Eigenproduktionen nervt. Und zwar die Kamera. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass manche Netflix Filmproduzenten immer wieder versuchen eine Wette zu gewinnen in der es darum geht, einen Film ganz ohne Kameramann zu drehen. Stativ, Selbstauslöser, vielleicht noch eine Fernbedienung, mehr darf man nicht benutzen – so die Wettbedingungen. Oder das Budget reicht einfach nie für mehr Kameraequipment. Wäre das nur bei einem Film so, ginge es als Stilmittel durch. Aber so häufig, wie die Kamera in Netflix Filmen fast ausschließlich stillsteht, ist das schwer zu glauben. Hin und wieder passt das zu Stimmung und Atmosphäre und verleiht den Szenen ein gewisses Etwas, aber sehr oft ist es einfach zu viel – beziehungsweise zu wenig. Versteht mich nicht falsch. Ich bin froh das die "Shakey Cam" sich langsam aber sicher verabschiedet hat. Aber die Überkompensation in Form der "Freezy Cam" muss auch nicht sein. Egal ob Faulheit, Geiz oder einfach ein komischer Geschmack, das Filmgerät darf sich in Zukunft gerne etwas mehr bewegen.
Dieser Film ist grundsätzlich interessant. Vor allem wegen des Gedankenspiels, das er eröffnet. Das Dilemma. Zwei Parteien, eine war lange weg und freut sich auf zu Hause. Die andere ist zu Hause, wo nichts mehr ist wie es war. Nur können beide Parteien nicht kommunizieren. Der Zuschauer weiß mehr als die Figuren. Das klingt spannend und ist es auch. Zumindest zwischendurch. Mal. Irgendwie. Ich meine der Film hat Spannung. Aber er schafft es irgendwie nicht, sie durchgehend aufrecht zu halten. Immer wieder wird getrödelt. Augustine schlurft durch die Gänge der Forschungseinrichtung und macht die Dialyse, die ihn am Leben hält. Er und das kleine Mädchen albern beim Essen rum und spielen mit Erbsen. Die Welt geht unter und man guckt den Hauptfiguren minutenlang dabei zu, wie sie mit Erbsen spielen. Es ist ein Film bei dem man ruhigen Gewissens aufs Klo gehen oder sich was zu trinken holen kann. Mehrfach.
Vor allem am Anfang hat der Film ziemliche Längen. Relativ schnell ist die Ausgangssituation klar. Aber so richtig passieren tut eigentlich nichts. Erst in der zweiten Hälfte. Wer durchhält wird mit einigen sehr schönen Bildern belohnt. Vor allem die Weltraumaufnahmen und Szenen außerhalb des Raumschiffes können sich sehen lassen. Ein paar andere Schauplätze wirken dagegen manchmal etwas künstlich und auch eine zentrale Personalentscheidung will mir nicht so richtig einleuchten. Sie betrifft die Hauptfigur.
Zwei Gesichter
George Clooneys Figur, der Weltraumforscher Augustine Lofthouse, wird in den Rückblenden nicht von Clooney, sondern von Ethan Peck gespielt. Den konnte man zuletzt unter anderem in der Serie „Star Trek: Discovery“ sehen. Das irritiert und hätte eigentlich nicht notgetan. Ja, Clooney ist nicht mehr der Jüngste, schon klar. Aber mit etwas Make-Up und digitaler Nachbearbeitung hätte er sein junges Ich definitiv auch einfach selber spielen können. Das hätte den Film geschmeidiger gemacht. Einzige Erklärung wäre, dass man nicht von Anfang an merken soll, dass es sich um dieselbe Person handelt. Vielleicht sollte das ja ein Twist sein. Wenn ja war es ein scheiß Twist, denn man checkt es sofort. Vielleicht hat auch einfach das Budget nicht für noch mehr Clooney-Screentime ausgereicht, man weiß es nicht.
Clooney selbst liefert hier aber ordentlich ab. Auch wenn leider ein Großteil seiner Mimik unter dem langen Bart verborgen bleibt, verkörpert er den gealterten und gebrochenen Mann auf eine ansteckende Art. Man verfällt fast selbst in eine melancholische Altersträgheit und Resignation. Naja, oder man schläft halt ein. Die anderen Figuren sind nicht nur äußerlich divers, sondern auch ihre verschiedenen Hintergründe frischen die Konstellation etwas auf. Man fühlt sich in die Menschen hinein und fragt sich, wie das wohl wäre, selbst in so einer Situation zu stecken. Allerdings hätte das Drehbuch einem da ein bisschen unter die Arme greifen können, denn so ganz von alleine passiert dieses "Hineinfühlen" eben nicht. Manche Versuche die Charaktere auszuleuchten bleiben lustlos, weswegen die Story einem bei genauerem Nachdenken etwas dünn vorkommt.
Das liegt auch daran, dass die beiden parallelen Handlungsstränge viel zu wenig miteinander verbunden sind. Sie laufen die meiste Zeit unabhängig nebeneinander her. Das raubt der Story den Drive. Aber zum Ende kriegt der Film wieder die Kurve und mündet in einen gelungenen Abschluss. Das macht aus „The Midnight Sky” insgesamt einen durchaus sehenswerten Film, nicht mehr und nicht weniger.
Falsche Prioritäten
Verlieren wir den Boden unter den Füßen, wenn wir nach den Sternen greifen? Diese Frage stellt „The Midnight Sky“. Wir suchen in den unendlichen Weiten des Kosmos nach einer neuen Heimat, anstatt unsere alte zu bewahren. Marschieren wir auf diesem Pfad geradezu in den Abgrund? Oder leuchtet die Zukunft uns entgegen und wirft dabei nur einen Schatten auf die Vergangenheit? In Zeiten des Klimawandels auf der einen und der konkreten Marsbesiedlungspläne von Leuten wie Elon Musk auf der anderen Seite muss uns klar sein, dass diese Idee, dieses Dilemma längst nicht mehr Science-Fiction ist. Sie ist in der Gegenwart angekommen. In der Realität. Was eindeutig klingt ist es bei genauerem Hinsehen ganz und gar nicht. Natürlich muss man das Schiff reparieren. Aber Rettungsboote wären auch nicht schlecht.
Aufbruch ins Unbekannte
Auf allen zeitlichen Ebenen bleibt der Film bewusst wage. Man weiß nicht genau, was auf der Erde geschah oder wie die aktuelle Lage ist. Die Zukunft liegt erst recht im Nebel der Ungewissheit. Mehr Fragen als Antworten. Man dichtet uns nicht jedes Detail vor, sondern holt unsere Vorstellungskraft aus der Feiertagslethargie. Will der Film am Ende optimistisch oder pessimistisch sein? Auch das wird uns nicht aufgezwungen. Der Zuschauer selbst muss es deuten. An Schopenhauer angelehnt, blickt hier bei gleicher Umgebung jeder in seine eigene Welt. Und an Filme wie ‚Interstellar‘ angelehnt wird gezeigt, dass das Ende des Einen immer auch der Beginn eines Neuen ist.