Ein Bogen ohne Spannung - Hawkeye Review

Es ist die vierte Disneyplus-Serie des Marvel Cinematic Universe. Und obwohl sie mich einigermaßen, und darauf liegt eine starke Betonung, unterhalten hat, ist es für mich die bisher schlechteste.

Ein Bogen ohne Spannung - Hawkeye Review
© Disney

Vorweg sei gesagt, dass ich schon immer großer Hawkeye Fan bin. Es waren immer schon die bodenständigen Superhelden, die mich fasziniert haben. Die nicht mit göttlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, sondern nur mit ihrem Kampfgeist und vergleichsweise primitiven Waffen, wie einem Schild oder eben Pfeil und Bogen, in die Schlacht ziehen.

Als damals von der Planung eines Black Widow Solo-Films berichtet wurde, war ich eher enttäuscht. Aus dem Agenten-Duo hatte man sich auf die Falsche Hälfte konzentriert. Als Hawkeye dann in diesem Prequel nicht einmal auftauchte war ich noch enttäuschter. Die Figuren gehörten schon immer zusammen. Ihre Freundschaft und Vergangenheit standen immer im Vordergrund, nur um hier komplett ignoriert zu werden. Stattdessen zog man eine bisher nie erwähnte Schwester aus dem Hut und beantwortete mit einem Familien-Drama Fragen zu Black Widows Hintergrund, die noch nie jemand gestellt hatte. Dazu noch ein bisschen Kalter Krieg Feeling, ein austauschbarer Russenbösewicht und fertig war die filmische Belanglosigkeit, zumal die Hauptfigur in den Gegenwart schon nicht mehr lebt. Aber ich schweife ab, bzw. spanne einen zu weiten Bogen (hehe). Zurück zu Hawkeye.

Als der nun eine eigene Serie bekommen sollte keimte wieder die Hoffnung in mir. Aber wieso wurde sie nicht erfüllt? Und worum geht es da überhaupt?

Ein Mädchen und ihr Idol

Bei der Schlacht von New York im Jahr 2012 war Kate Bishop noch ein Kind. Durchs Fenster konnte Sie Hawkeye bei seinem Kampf gegen die Aliens beobachten. Unbewusst rettete dieser ihr sogar mit einem seiner Pfeile das Leben. Das junge Mädchen hatte nun in Hawkeye ihr Idol gefunden und beginnt, ihm nachzueifern. Sie lernt Bogenschießen, aber auch Kampfkunst und Fechten und träumt davon, irgendwann auch ein Held zu sein.

Dann setzt die eigentliche Handlung 10 Jahre später ein. Kate ist 22 und arbeitet widerwillig in der Security-Firma ihrer Mutter, zu der sie ein eher schwieriges Verhältnis hat. Ihren neuen Verlobten Jack kann sie nicht leiden und traut ihm irgendwie nicht über den Weg. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Im Chaos einer ausgeraubten Schwarzmarkt-Auktion streift sie sich kurzerhand den Anzug über, mit dem Hawkeye vor einiger Zeit auf Rachefeldzug unterwegs war. Das hetzt ihr die halbe New Yorker Unterwelt auf den Hals. Aber zufälligerweise ist ihr großes Vorbild auch in der Stadt. Der wollte eigentlich nur mit seinen Kindern Weihnachtsurlaub machen. Er will Kate nun aus dem Schlamassel helfen und verspricht seinen Kindern, es bis Heiligabend nach Hause zu schaffen. Aber ob das was wird?

Kates Mutter mit ihrem zwielichtigen Verlobten Jack | © Disney

Family-Friendly First

Irgendwie ist es doch komisch. Clint Barton ist im Prinzip ein Profi-Killer. Ein Geheimagent mit Lizenz zum Töten. Und zu Hause, an einem geheimen, abgelegenen Ort hat er eine Familie. In jeder neuen Mission riskiert er sein Leben. Seine Kinder müssen ständig fürchten, ihren Vater zu verlieren. Doch dann passiert es umgekehrt. Durch Thanos verliert er seine ganze Familie und beginnt über mehrere Jahre einen blutigen Rachefeldzug. Blind vor Wut und Hass zieht er als "Ronin" in düsterer Ninja-Kutte um die Welt und schlachtet Verbrecher mit einem Katana ab. Dann die hoffnungsvolle Mission mit den Avengers, um die verschwundene Menschheitshälfte zurückzuholen. Aber dort er muss mit ansehen, wie seine beste Freundin direkt vor seinen Augen stirbt. Ein hoher Preis für die Rückkehr seiner liebsten.

Ja und dann grinsen mich von allen Bushaltestellen der Stadt die Werbeplakate für die Hawkeye Serie an. Auf denen ist bunte Weihnachtsbeleuchtung zu sehen, eine fröhliche hellgelbe Schrift und dazu noch ein süßer Hund mit Zipfelmütze. Äh, hab ich was verpasst? Das ist schon derselbe Hawkeye, den ich im Kopf habe, oder?

Aaaaw, ein süßer Hund mit Weihnachtsmütze | © Disney

Gleich vorweg: Der Hund trägt zur Story ungefähr so viel bei wie die AFD zum Klimaschutz. Er taucht alle zwei Folgen für den entsprechenden "Aaaw-Faktor" auf.

Man hat der Serie aus Gründen der Vermarktbarkeit einen familien- und kinderfreundlichen Anstrich gegeben, der die Ernsthaftigkeit und Tragik der Figur ignoriert und untergräbt. Das zählt ohnehin zu den größten Mankos des MCU. Auch wenn es eigentlich ständig um Leben und Tod oder die Vernichtung des Universums geht, muss alles locker und lustig daherkommen. Alle zwei Minuten muss ein One-Liner die Zuschauer daran erinnern, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Sogar in den bisher tragischsten Filmen Infinity War und Endgame, zu dessen Tragweite ich hier nichts mehr sagen muss, werden Reihenweise ernste Momente durch schnelle Pointen gebrochen, damit es bloß nicht zu düster wird. Würde man die entsprechenden Dialogzeilen einfach rausschneiden,  wären die Filme in ihrer Atmosphäre nicht von The Dark Knight zu unterscheiden. Und genau dieses Problem des Franchises findet hier nun seinen Höhepunkt. Man könnte sagen, der Bogen wird gewissermaßen überspannt.

So sehr man hier das Vermarktungs-Potential der Serie erhöht, so sehr verschenkt man das filmische. Viel eher hätte man sich am Stil von Daredevil orientieren können. Das wäre doch mal was. Düster und erwachsen. Vielleicht sogar mal blutig - was ja bei einem Helden, der mit Pfeil und Bogen kämpft auch naheliegend wäre. Das ist nun mal eine aggressive Waffe. Kein Schild, mit dem ich Leute verprügle, sondern ein tödliches Geschoss. Hier schlägt die Serie denselben Weg ein wie damals die DC Serie Arrow. Dort fasst der Titelheld am Ende der ersten Staffel den Entschluss, nicht mehr zu töten. Deshalb kann man sich die weiteren Staffeln auch getrost sparen. Denn dann kommt man, genau wie in Hawkeye, mit absurdesten "Trickpfeilen" um die Ecke. Klar, schon in den Filmen hatte er ein paar Spezialpfeile im Köcher. Aber hier wird damit einfach übertrieben. Und das nur aus einem Grund: Damit Hawkeye niemanden (oder zumindest sehr wenige) tötet. Weil töten wäre ja zu ernst, zu düster. Das erinnert auch an The Falcon and The Winter Soldier, wo die beiden schießwütigsten Avenger ihre Gegner auf einmal nur noch schubsen und hauen. Aber da sorgte die Geschichte noch für die nötige Portion Spannung. Genau das fehlt Hawkeye aber.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie schlecht ist deine Story | © Disney

Auch der Spannungsbogen schießt nur Trickpfeile

Die Geschichte kann man beschönigend als unkreativ beschreiben. Die "Twists" erahnt man eigentlich schon in der ersten Folge und wird entsprechend auch nicht wirklich überrascht.  Stattdessen entstehen Nebenhandlungen, die alles noch alberner erscheinen lassen. Zum Beispiel nimmt eine Gruppe sogenannter "LARPer" eine absurd große Rolle in der Geschichte ein. Das steht für Life Action Role Play und bezeichnet Vereine oder Gruppen, die sich treffen und gemeinsam möglichst authentisch so tun, als wären sie im Mittelalter. So wie man als Kind mit Holzschwertern durch den Garten gerannt ist und Ritter gespielt hat. Nur halt als Erwachsene mit entsprechend potenzierten Materialaufwand. Das durch so einen Storyabschnitt das Gefühl verstärkt wird, man wäre Zuschauer eines ulkigen Karnevals-Kostümfestes und nicht der Läuterung eines gealterten Helden, versteht sich eigentlich von selbst.

Und dann gibt es da noch die "Trainingsanzug-Mafia". Ja, kein Witz. Das ist eine Verbrecherorganisation, deren Mitglieder allen Ernstes alle in gleichfarbigen Trainingsanzügen rumlaufen. Das ist inszenatorisch auf dem Niveau von GTA San Andreas - ohne allerdings eine ähnlich spannende Geschichte zu erzählen.

Die Grove Street ääh ich meine die Trainingsanzug-Mafia | © Disney

Das beste kommt zum Schluss

Die Story nimmt in Episode 5 zumindest ein bisschen an Fahrt auf, aber weiß dann auch zum Ende hin nicht mehr viel damit anzufangen. Und das Highlight der Serie ist zum Schluss das Auftauchen einer Figur aus einer anderen Serie. Eine Figur, zu der zwar wir als Zuschauer und Fans eine enge Verbindung haben - nicht aber Kate und Clint, was diesem vermeintlichen Höhepunkt jede emotionale Spannung nimmt.

Nun will ich aber nach all der Kritik auch versuchen, ein paar lobende Worte zu finden. Die Serie unterhält. Auf einem sehr seichten Niveau, aber sie tut es. Ich hatte keine schlechte Zeit mit ihr, vor allem dank der angenehmen Kürze von nur 6 Folgen. Gerade in der Vorweihnachtszeit konnte man sie angenehm schauen, denn in die Folgen ist quasi ein Countdown bis Heiligabend hineingeschrieben. Das Fest spielt allgemein eine große Rolle und es half mir tatsächlich, ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen. Man kann über Disneys Fokus auf Vermarktung ja schimpfen, aber funktionieren tut es.

Die Frage ist nur: Ist es das, was ich von einer Hawkeye-Serie möchte? Eine glattgebügelte Feel-Good Story, die mich ohne echte Fallhöhen gemütlich in Weihnachtsstimmung bringt? Für mich persönlich kann ich das klar verneinen, weswegen ich die Serie leider als Enttäuschung verbuchen muss. Sie ist für mich die schlechteste der neuen Marvel Serien.