Harry Potter und die gemolkene Kuh

Quizfrage: Was hat ein Bauernhof mit der Film- und Serienindustrie gemeinsam? Bei beidem wird gemolken. Jeder ungenutzte Tropfen Milch ist eine potentielle Einnahmequelle weniger. Es muss rausgeholt werden, was geht.

Harry Potter und die gemolkene Kuh

Vor Kurzem wurde berichtet, dass Warner Brothers Gerüchten zufolge an einer Harry Potter Serie arbeitet. Mein innerer Fanboy bekommt Herzklopfen, der innere Kritiker zieht skeptisch die Augenbraue hoch. In Hollywood zeichnet sich schon seit vielen Jahren der Trend ab, bestehende Filmmarken nicht in Würde zu verabschieden um sich neuem zuzuwenden, sondern das Vorhandene so lange wie möglich fortzuführen. Franchises auszuschlachten, also die sprichwörtliche Kuh so lange zu melken wie es geht. So werden Geschichten erweitert und Universen ausgedehnt. Manchmal erzählerisch schlüssig und künstlerisch gewollt, oft aber finanziell getrieben, nahezu erzwungen. Star Wars hat es in beide Richtungen vorgemacht.

Sinn und Unsinn von Prequels, Sequels und Spin-Offs

‚Krieg der Sterne‘ war 1977 der Überraschungserfolg schlechthin. Das Franchise, das man sich heute aus der Unterhaltungswelt kaum noch wegdenken kann, war damals noch keines und es war auch nicht abzusehen, ganz im Gegenteil. George Lucas‘ ambitionierte Ideen wurden in der Branche von vielen belächelt, von nicht wenigen verspottet. Bis zum Kinorelease. Bis sich zeigte, welche Faszination das Weltraummärchen versprühte, wie die Geschichte über die Jedi und die Macht einen in den Bann zog. Die ursprüngliche Trilogie war ein Jahrhunderterfolg und schrieb Filmgeschichte. Aber sie war auch dramaturgisch geschlossen, ohne Cliffhanger oder Hintertür. Und doch hatte der Schöpfer noch etwas zu erzählen. Nur eben nicht nach vorne.

Das Darth Vader Luke Skywalkers Vater ist, ist wohl der berühmteste Story Twist in der Filmgeschichte. Selbst wer noch nie einen Star Wars Film gesehen hat, kennt ihn. Schade eigentlich für diejenigen. Vader selbst war ein Mysterium. In nur wenigen Sätzen wurde seine Vergangenheit umrissen. Dann kam die Prequel-Trilogie, die seine Geschichte erzählen sollte. Doch Lucas wollte mehr als das. Episode I-III sind nicht einfach die Vorgeschichte von Darth Vader. Im ersten Teil ist er nicht einmal die Hauptfigur. Seine Tragödie wurde eingewoben in den Untergang der Demokratie auf ihrem Höhepunkt, die schleichende Errichtung einer Diktatur und dem Verfall des blind gewordenen Jedi-Ordens. Die Prequel Filme, so problematisch sie cineastisch und dramaturgisch auch sind und so ungern ihre Kritiker das auch hören wollen, sind die erzählerische zweite Hälfte der Star Wars Medaille. Sie sind das Gegenstück zu Luke Skywalkers Geschichte, vervollständigen die Gesamterzählung und sind das perfekte Beispiel dafür, dass es die sinnvolle Ausdehnung einer Filmreihe gibt – und daneben das planlose finanzielle Ausquetschen. Das Begann erst mit „Das Erwachen der Macht“. Als Disney das Ruder übernahm und George Lucas ein paar Milliarden gab um noch viel mehr Milliarden zu verdienen. So wirklich gebraucht hat das niemand, von Hardcore Fanboys und den Disney Aktionären mal abgesehen. Im Prinzip hat man einfach dieselbe Geschichte nochmal erzählt, mit ein paar Abweichungen. Doch es gibt da natürlich noch viele andere Franchises, die schon lange kranken, aber irgendwie einfach nicht sterben wollen.

Nonsens-Verstrickungen

Wenn zum Beispiel die Verfilmung einer Freizeitpark-Attraktion zu einer fünft-teiligen Reihe heranwächst, ja dann ist durchaus Skepsis angebracht. Die Rede ist von ‚Fluch der Karibik‘. Der Auftakt des Piratenabenteuers ist bis heute einer meiner Lieblingsfilme. Und ja, auch die Teile danach hatten durchaus ihren Reiz, nicht zuletzt wegen der ikonischen Figur Jack Sparrow, aber aller aller spätestens bei Teil 5 verließ selbst mich als Fanboy das Verständnis. Man hat das Gefühl, manche Filmproduzenten wissen einfach nicht wann Schluss ist. Man sollte schließlich aufhören wenn’s am schönsten ist. Denn von einem bestimmten Punkt an kann es nur noch bergab gehen. Bei 'Fast & Furious' zum Beispiel. Okay, da fragt man sich eher ob es überhaupt mal bergauf ging, aber ‚Hobbs & Shaw‘ als Spin-Off der Reihe darf als qualitativer Tiefpunkt angesehen werden. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Warum ich Spin-Offs und Prequels hasse

Zum cineastischen Meisterwerk ‚Mad Max Fury Road‘ von 2015 soll es ein Spin-Off geben, das sich mit der Vergangenheit der Nebenfigur Furiosa beschäftigt. Die Netflix-Serie ‚The Witcher‘ soll um eine Nebenserie ergänzt werden, die 1200 Jahre vor der Haupthandlung spielt und 'Game of Thrones' soll bekanntermaßen um 3 Spin-Off Serien ergänzt werden, eine davon z.B. zur Geschichte der Targaryens. Wo man auch hinguckt, überall entfernt man sich von den großen Hauptgeschichten und verliert sich in Nebenhandlungen von Nebenhandlungen. Es liegt in der Natur solcher Konzepte, dass sie neben ihren großen Geschwistern langweilig und uninteressant wirken. In ‚Der Herr der Ringe‘ ging es um das Schicksal der ganzen Welt, in ‚Der Hobbit‘ hingegen um einen einzigen Berg. Die Fallhöhe ist meist vergleichsweise gering. Noch dazu verstrickt man sich oft schlicht in Dinge, die niemand wissen wollte und liefert Antworten auf Fragen die nie jemand gestellt hat. Kein Fan wollte wissen, wie Han Solo und Chewbacca sich kennengelernt haben, wo Wolverine seine Jacke herhat, oder ob die Schlange von Voldemort früher mal ein Mensch gewesen ist. Im Gegenteil, es liegt sogar eine große Faszination darin, nicht alles zu wissen. Bei manchen Figuren sind die geheimnisvollen Elemente wichtig. Ich will die genaue Hintergrundgeschichte von Gerald, Jack Sparrow, Han Solo oder Dumbledore nicht kennen. Es macht sie interessanter wenn ich nicht haargenau weiß, wie sie zu dem wurden, wer sie sind. Entmystifizierung nennt man das. Dazu zählt im Übrigen auch die Erklärung, dass die Verbindung eines Jedi zur Macht auf einen Blutwert zurückzuführen ist. Das ist als würde im nächsten Teil von ‚Fantastische Tierwesen‘ offenbart werden, dass Zauberstäbe eigentlich nur Sprachgesteuerte High-Tech Waffen eines großen Rüstungskonzerns sind. Man würde einen zentralen Faszinationsanker buchstäblich entzaubern. Und damit sind wir beim Thema.

Fantastische Kühe und wo sie zu melken sind

Bei dem Serienboom der letzten 10 Jahre ist es fast schon verwunderlich, erst jetzt von Gerüchten über eine Serienumsetzung von Harry Potter zu hören. Wäre die Bücher 10 Jahre später erschienen, hätte man vermutlich eh eine Serie daraus gemacht. Jedes Buch eine Staffel. Das hätte durchaus seinen Reiz. Doch die Geschichte der Geschichten lässt sich nicht umschreiben.

Auch wenn Warner Brothers die Gerüchte noch dementiert, zu rechnen ist mit einer solchen Serie definitiv. Es ist eigentlich nur die Frage wann. Denn Warner braucht dringend Content für seinen eigenen Streamingdienst, damit er mit Netflix, Disney+ & Co konkurrieren kann. Zu rechnen ist dabei ziemlich sicher mit einem Prequel. Das das aber bei weitem keine Qualitätsgarantie ist, beweisen die beiden ‚Fantastische Tierwesen‘ Filme. Der erste hatte noch einigermaßen Charme, der zweite war so vermurkst das auch Johnny Depp es nicht ausgleichen konnte, aber beide waren sie eher überflüssig. Die Welt wäre dieselbe ohne Sie. Niemand würde sie vermissen. Und Depp ist ja wie es scheint auch noch rausgeworfen worden. Die Zeichen stehen also nicht gut für die 3 (!) weiteren Teile, die noch folgen sollen.

Origin Stories VS Originäre Stories

Versteht mich nicht falsch. Ob ein Film oder eine Serie gut oder schlecht ist, hängt natürlich nicht davon ab, ob es sich um eine Fortsetzung, ein Remake oder ein Spin-Off handelt. Es steht und fällt mir der Geschichte selbst. Filme wie ‚Rogue One‘ zeigen, dass auch innerhalb der eigentlich unnötigen Zusatzproduktionen tolle Werke möglich sind. Und als Marvel Fanboy ist es ohnehin fragwürdig, sich an der Ausschlachtung von Filmreihen zu stören, wobei das eher ein Sonderfall ist, da es (schlauerweise) von vorne herein nicht als geschlossene Geschichte angelegt war. Eins ist jedoch klar, auch eine Harry Potter Serie kann grandios werden. Aber es ist eine Herausforderung. Eine an der schon sehr viele gescheitert sind. Eine in sich abgeschlossene Geschichte weiterzuführen untergräbt die ursprünglichen Werke und ihr Ende. Die Star Wars Sequels beweisen das. Die Vorgeschichte der Haupthandlung zu erzählen ist durch die natürlichen Spoiler langweiliger und meist weniger interessant, der Hobbit beweist das. Neben diesen allseits bekannten Spektakeln braucht das Kino neue, innovative Ideen und Geschichten. Und dafür braucht es Filmemacher und Autoren mit Mut, so wie ihn einst die hatten, die die Grundsteine für die heute so überdominanten Franchises gelegt haben.