The Falcon and The Winter Soldier - Review
Es ist die zweite Marvel-Serie, mit der Disney+ aufwartet und das Superheldenfeuer am Glühen hält. Nach Captain Americas Abdanken bemühen sich seine beiden Weggefährten Sam und Bucky um sein Vermächtnis. Aber gelingt ihnen das auch?
© Disney
Nachdem man 11 Jahre lang an eine Frequenz von 2 bis 3 Marvel-Filmen pro Jahr gewöhnt wurde, ist es schon ziemlich ungewohnt, dass es nun seit fast 2 Jahren keinen Superhelden-Nachschub mehr gab. Im Juli 2019 kam „Spiderman: Far From Home“ in die Kinos. Von da an war erstmal Funkstille – wenn auch nur unfreiwillig. Ohne die Pandemie wären letztes Jahr sowohl „Black Widow“ als auch „The Eternals“ gestartet. Beide wurden um ein Jahr verschoben und bescherten uns ein Marvel freies Jahr. Vielleicht brauchte es das auch, um dem Franchise nicht überdrüssig zu werden.
Im Januar 2021 wurde das Feuer dann mit der ersten Marvel-Serie auf Disney+ wieder neu entfacht. "WandaVision" kam surreal und mit starken Mystery-Einschlag daher, was bei vielen gut ankam. Mit „The Falcon and The Winter Soldier" geht es nun wieder etwas bodenständiger zu.
Captain America’s Erbe
Steve Rogers ist fort. Was genau das bedeutet - ob er nun wirklich gestorben ist oder als Greis irgendwo auf einer Veranda seinen Lebensabend verbringt – wird bewusst offen gelassen. Die Welt die er hinterlässt, ist keineswegs zur Ruhe gekommen. Im Gegenteil. Seit in „Endgame“ die Hälfte der Menschheit, die 5 Jahre lang spurlos verschwunden war, wieder aufgetaucht ist, ist vielerorts regelrechtes Chaos ausgebrochen. Erfrischend, dass man dieses für die Menschheit so einschneidende Ereignis ernst nimmt, und nicht einfach so unkommentiert stehen lässt. Es herrscht eine regelrechte Flüchtlingskrise – was nicht die einzige Parallele zu unserer Realität bleiben wird. In diesem Konflikt entsteht eine Terror-Organisation, die Flag-Smashers. Auf verschlungenen Wegen sind sie an Überreste des Supersoldaten-Serums gelangt, das einst Captain America und auch dem Winter Soldier zu ihren Kräften verhalf. Mit diesem Super-Doping bewaffnet und global vernetzt kämpfen sie gegen… ja gegen was eigentlich… Was genau ihr Ziel ist, wird irgendwie nicht so ganz klar. Sie glauben jedenfalls, dass die Welt mit halber Besetzung eine bessere war.
Das ruft die beiden Titelhelden auf den Plan. In zunächst widerwilliger Zusammenarbeit nehmen sie den Kampf auf. Sie treffen sowohl auf alte Freunde als auch bekannte Feinde und müssen neben all dem auch noch ihren ganz persönlichen Weg weitergehen, sich ihren Dämonen stellen und einen Weg finden, das Vermächtnis ihres gemeinsamen Freundes weiterzutragen.
"Symbole sind nichts ohne die Frauen und Männer, die ihnen Bedeutung verleihen." - Sam Wilson / Falcon
(K)ein Buddy-Movie
Die Serie kommt in angenehmer Länge daher. Oder eher in angenehmer Kürze. Mit 6 Folgen á 50 - 60 Minuten ist sie wesentlich überschaubarer als die bisherigen Marvel-Ableger. Sie schließt sich dem langsam aufkommenden Trend der Mini-Serien an. Und sie beweist, dass man nicht immer 13, oder Gott bewahre über 20 Folgen benötigt, um eine gute Geschichte zu erzählen.
Die Geschichte ist rund, wenn auch nicht allzu wendungsreich erzählt, und holt den Zuschauer sofort ab. Natürlich unter der Voraussetzung, dass man die wichtigsten Filme der Reihe gesehen hat, sonst kapiert man vermutlich gar nichts.
Die charmante Hassliebe zwischen Sam und Bucky wird weitergeführt und verleiht der Show fast einen Buddy-Movie Touch. Aber eben nur fast. Die Serie macht leider den Fehler, die beiden Figurenentwicklungen weitestgehend voneinander zu trennen. Die Geschichte von Sam, der seiner Familie bei ihren Problemen helfen will und die von Bucky, der mit seiner traumatischen Vergangenheit als Winter Soldier abschließen muss, haben nahezu keine Berührungspunkte und bleiben Nebenschauplätze. Als sei den Autoren das beim Schreiben aufgefallen, kriegt die Geschichte in der zweiten Hälfte dann die Kurve und schafft es zumindest im letzten Akt, beides zusammenzuführen. Das mündet in der mit Abstand besten und bewegendsten Szene/Episode der Serie.
Die große Stärke der Serie ist, neben den spannenden Figuren, vor allem der Production-Value. Sage und schreibe 150 Millionen US-Dollar hat die Staffel gekostet. Und das sieht man ihr an. Der Look, die Stunts, Effekte und Locations – all das hinkt den Kinofilmen in nichts nach. Es dürfte damit die bisher teuerste Serienproduktion aller Zeiten gewesen sein. Zum Vergleich, die letzte Staffel „Game of Thrones“ kostete ungefähr 90 Millionen Dollar. Wenn man sich danach eine Folge aus den DC-Serien wie „Arrow“ oder „Flash“ anschaut, wirkt das wie ein low-budget Studentenprojekt. Neben dem reinen Produktionsaufwand dürfte allerdings auch der Cast ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor gewesen sein.
Alte Bekannte, neue Probleme (ab hier minimale Spoiler)
Wie schon der Trailer gezeigt hat, tauchen einige Figuren wieder auf. Unter anderem der Bösewicht Zemo, der wie in „Captain America: Civil War“ wieder grandios von Daniel Brühl verkörpert wird. Er ist nicht nur ein wesentliches Bindeglied zu den Filmen, er bleibt auch in seinen Beweggründen spannend. In seinen Augen sollte es keine Supersoldaten geben dürfen. Keine Superhelden allgemein. Keine einzelne Person sollte so mächtig sein. Red Skull, der Nazi-Schurke aus dem ersten Captain America Film, ist sein Beispiel dafür, was diese Macht aus Menschen machen kann. Die unhinterfragte Vergötterung der Avengers, die Glorifizierung von Soldaten, Krieg und Kampf ist ihm zuwider. Sein Hauptziel ist daher nicht, das Super-Serum der Terroristen sicherzustellen oder für sich selbst zu nutzen – sondern es zu zerstören. Das ist, trotz aller Sympathie für die Helden, eine überraschend überzeugende Haltung. Seine Rolle ist allerdings ein zweischneidiges Schwert.
"Der Wunsch, ein Übermensch zu werden, kann vom Anspruch auf Vorherrschaft nicht getrennt werden. Jeder der das Serum hat, ist zwangsläufig auf diesem Weg.“ - Zemo
Die Trailer weckten bewusst den Eindruck, er sei der zentrale Antagonist der Serie. Ein Bluff. Für die Hauptfiguren ist er, wie sie nicht müde werden zu betonen, nur ein „Mittel zum Zweck“. Für die Serie selbst ist er aber nicht einmal das. Er ist ein Selbstzweck. Er ist in der Serie, um in der Serie zu sein. Die gesamte Handlung hätte auch ohne ihn stattfinden können. Seine ikonische lila Maske trägt er für eine einzige Action-Szene, nur um sie direkt danach wieder ab- und nie wieder aufzusetzen. Das wollte man wohl unbedingt im Trailer haben. In der finalen Episode taucht er nicht einmal mehr auf. Eine Verschwendung, denn seine Figur ist durchaus interessant und seine Beweggründe sind nachvollziehbar. Aber auch das hat einen Haken.
Retcon und Plotholes
Zemos „neue“ Hintergrundgeschichte wirkt etwas out-of-nowhere. So spannend die Figur auch bleibt, in „Civil War“ war er ein ehemaliger Soldat aus Sokovia, dessen Familie bei der Schlacht gegen Ultron getötet wurde. Seitdem hasst er Superhelden und wollte sie mit seinem Plan gegeneinander ausspielen. Nun wird offenbart, dass er eigentlich ein Baron ist und aus einer steinreichen Adelsfamilie stammt. Dann sieht man ihn in einem Privatjet Champagner schlürfen und seine Kontakte in die Verbrecherwelt spielen lassen. Widersprechen tut das seiner Geschichte zwar nicht unbedingt, aber es untergräbt sie. Am Ende von „Civil War“, als sein Plan vollbracht und der Keil zwischen die Helden getrieben ist, will er sich erschießen. Nur Black Panther kann den Selbstmord in letzter Sekunde verhindern. Von dem gebrochenen Mann, der alles verloren und mit dem Leben abgeschlossen hat, ist nun nichts mehr zu sehen. Das fällt in die Kategorie ‚Retcon‘. Dazu ein kleiner Exkurs:
Retcon steht für „retroactive continuity“ und bezeichnet das literarische Mittel, eine Erzählung rückwirkend anders darzustellen, anzupassen oder umzudeuten. Das klassische Beispiel sind Tode von wichtigen Figuren, die durch irgendeine, manchmal hanebüchene Erklärung wieder rückgängig gemacht werden. Der Tod von Sherlock Holmes ist ein frühes Beispiel dafür. In einem der Romane von Arthur Conan Doyle von 1893 stürzt er sich mit seinem Erzfeind Moriarty in die Tiefe und stirbt. Doch aufgrund verärgerter Fans holt Doyle ihn in einer Fortsetzung wieder zurück. Wenn man so will, war das der erste Fan Service der Literaturgeschichte. In Superhelden-Comics hat es diese Art von vorübergehendem Abgang schon so oft gegeben, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt. Den „Comic-Buch-Tod“.
Es muss aber nicht immer ein Tod sein, der rückgängig gemacht wird. Oft wird eine Figur auch einfach neu interpretiert und dafür ihre Vergangenheit umgedeutet oder um einiges ergänzt – so wie bei Zemo. Das Problem ist dabei immer, dass frühere Geschichten ein Stück weit ihrer Tragweite beraubt werden. Schaut man nun noch einmal „Civil War“ , wird es einen komischen Beigeschmack haben, auch wenn man sich jetzt etwas näher an der Comic-Vorlage befindet.
Sharon Carter ist ebenfalls wieder mit von der Partie. Sie unterstützte schon in den beiden letzten Captain America Filmen und schlug sich im Civil War auf dessen Seite. Seitdem ist sie zur Staatsfeindin erklärt worden und in Asien untergetaucht. Dort kann sie den Titelhelden mit ihren Kontakten zur Unterwelt behilflich sein. Warum genau allerdings der Winter Soldier von seinen Taten vollständig begnadigt wurde, sie aber immer noch auf der Flucht ist, wegen vergleichsweise harmloser Vergehen, ist mir nicht ganz klar.
Hände hoch oder ich schlag dich
Auffällig ist außerdem, dass in der Serie über die beiden Figuren, die bisher fast als einzige immer mit Schusswaffen gekämpft haben, erstaunlich wenig geschossen wird. Stattdessen wird sich geprügelt oder mit irgendwas geworfen. Klar, Captain America hat auch meistens nur mit seinem Schild gekämpft und es ist auch keine Seltenheit, dass in Actionfilmen die namenlosen Handlanger wie am Fließband erschossen werden, während bei wichtigen Personen gezögert oder ohne Kugeln gekämpft wird. Aber hier ist es leider sehr offensichtlich, dass die Kämpfe einfach nicht zu schnell und vor allem nicht zu blutig enden sollen. Ein bisschen mehr John Wick hätte hier gut getan.
Fazit
Die Serie ist zwar nicht so gut, wie sie hätte sein können. Aber sie ist besser, als dieser Text es im Nachhinein vermuten lässt. Zwar bildet sie die Brücke von „Avengers Endgame“ zum nun angekündigten „Captain America 4“, aber sie ist mehr als das. Es ist eine Geschichte über Vergangenheitsbewältigung, über Freundschaft und über die Frage, für welche Werte es sich zu kämpfen lohnt. Die Schauspieler machen allesamt einen tollen Job, die Figuren sind trotz einiger erzählerischer Schwächen interessant und die Inszenierung hätte beeindruckender nicht sein können. Unterm Strich ist es ein kurzweiliger Spaß, den man sich, gerade als Marvel-Fan, auf keinen Fall entgehen lassen sollte.